Ich freue mich schon sehr lange auf den Film, genauer gesagt bereits seit dem Moment, in dem ich zum ersten Mal von ihm gehört hatte – was auch schon wieder ein gutes Jahr her sein dürfte. Leute, wie die Zeit verFLIEGT.
Je näher der Starttermin Monat für Monat heran rückte, umso größer wurde meine Vorfreude, bis sie sich Anfang September Luft machen musste und sich in meinem Vorschau-Beitrag zum Film manifestierte. Solltet ihr daran interessiert sein, mehr über die wahre Geschichte des Wunders vom Hudson zu erfahren, könnt ihr euch diese Vorschau gerne vorab auch einmal durchlesen, da ich im Folgenden nun nahezu ausschließlich auf den Film als solchen eingehen werde.
Falls ihr es tatsächlich geschafft habt, bisher nichts von der spektakulären Notwasserung mitten in New York mitzubekommen, ist ein Klick auf den Link oben Pflicht, da ich den thematischen Hintergrund von ´Sully´ hier nicht nochmal explizit vorstellen werde – eben weil die allermeisten wissen, um welches Ereignis es geht.
96 Minuten echte Gefühle
Stattdessen haue ich lieber gleich mal das erste raus, das mir konkret zu Clint Eastwoods neuestem Werk einfällt: „Was für ein toller Film!“. Das, was der Regie-Altmeister da auf die Leinwand bringt, ist einmal mehr herausragend, wenn nicht sogar bahnbrechend. Und das in erster Linie aufgrund der Dramaturgie, die er seinem Film gibt.
Der gewohnte und in der Tat auch nahe liegende dramaturgische Aufbau eines (Fast-) Katastrophenfilms sähe ja in etwa so aus, dass sich bspw. alle späteren Flugzeuginsassen nach und nach am Flughafen einfinden, man dabei etwas über ihr Leben erfährt und wie tragisch es wäre, dass genau diese liebenswerten Personen sterben würden und dass der Pilot im großen Showdown am Ende des Films schließlich alle rettet, plus ein paar pathetische Nachwehen, wie dankbar ihm alle sind.
Von all dem ist in Eastwoods Aufbau des Films maximal ansatzweise und in ganz homöopathischen Dosen etwas spürbar. Er verzichtet nahezu komplett auf die klassisch-erwartbare Dramaturgie einer spektakulären Notwasserung in einer Weltmetropole und verortet den eigentlichen dramatischen Konflikt vielmehr in etwas vergleichsweise Profanem wie der sich anschließenden Untersuchung des Vorfalls. Das Geniale daran: Der Film funktioniert nicht nur trotzdem, sondern meiner Meinung nach genau deshalb erstklassig.
Aber nicht, dass wir uns hier falsch verstehen: Die Notlandung auf dem Hudson ist natürlich das Ereignis, auf das sich in ´Sully´ alles fokussiert. Die Tragflügel des Films (also das, auf dem sich die Handlung von A nach Z schwingt) bildet aber die Verhandlung, ob sich Pilot Sullenberger (Tom Hanks) korrekt verhalten oder nicht doch grob fahrlässig gehandelt hat, wie es ihm das National Transportation Safety Board (NTSB) – die amerikanische Behörde für die Aufklärung von Unglücksfällen im Transportwesen – vorwirft.
Der subtile Wechsel zwischen dem Wecken von Zweifeln an Sully bzw. der temporären Demontage seines Heldenstatus auf der einen Seite und dem Vor-Augen-Führen seiner ohne Zweifel im Endeffekt heroischen Tat auf der anderen, stellt dann auch den Punkt dar, der mir persönlich am besten gefallen hat. Und das deshalb, weil hierbei im besten Wortsinne ganz stark differenziert gearbeitet wurde, sodass weder von einer Schwarz-Weiß-Zeichnung auch nur ansatzweise die Rede sein kann, noch dass absolut trennscharf klar ist, in welcher Phase des Films Sullys Heldentum gerade eher demontiert und wann es eher affirmativ bestätigt wird.
Sprich: Der Film lässt sich nicht in solche (ohnehin abstrusen) „Akte“ der Demontage und der der Rückerkämpfung des Heldenstatus einteilen mit der finalen Kulmination in einen kathartischen Höhepunkt, sondern entlädt sein ungeheures Wirkpotential vielmehr in mehreren, auf die gesamte Spielzeit verteilten Emotions-Spitzen.
Der richtige Mann im richtigen Job
Am Entstehen-Lassen dieser erlesenen Emotions-Eruptionen ist neben Eastwood aber auch ein weiterer Mann entscheidend beteiligt, der für mich seine Oscar-Nominierung – genau wie der Regisseur und der Film selbst – sicher hat: Hauptdarsteller Tom Hanks.
Wie zu erwarten war, ist er die Personifizierung des gerade skizzierten Konflikts zwischen der Demontage und dem Feiern eines Helden – und das nicht nur äußerlich, sondern auch in seinem Innern. Denn Eastwood und Hanks zeigen uns einen Chesley Burnett Sully Sullenberger III, der im Zuge der während der Untersuchung gegen ihn erhobenen Vorwürfe des fahrlässigen Handelns einerseits in Selbstzweifel und erschreckend real erscheinenden Alb(tag)träumen von in Wolkenkratzer krachenden Passagiermaschinen zu zerfallen droht, andererseits von den ihm außerhalb der Verhandlung begegnenden Menschen in der Richtigkeit seiner Handlungen bestätigt und viel mehr noch, verehrt wird.
Diese Diskrepanz ist es, die Hanks extrem stark rüber bringt, in einem Film, der von vielen leisen Momenten lebt, die sich mit einigen nicht ganz so leisen abwechseln. Ein gewisses, wenn auch kleines Stück lebt der Film hierbei zwar auch von einer visuell-affektiven Inszenierung, diese kommt aber ohne jeden Bombast und ohne jedes Pathos aus und ist, wie gerade gesagt, von leiser, getragener Natur.
Und in diese Grundstimmung passt Hanks einfach perfekt hinein, ebenso wie er schon rein äußerlich der realen Vorlage seiner Figur recht nahe kommt. Doch nicht nur in dieser Hinsicht kann man behaupten, dass genau der richtige Mann für den Job gefunden wurde – ich würde tatsächlich sagen, dass es die ganze – wenn man so will – „Moral“ des Films ist, zu zeigen, welche Wunder möglich sind, wenn eben genau der richtige Mensch den richtigen Job macht.
Die Inspiration, die man aus dem Kinosaal mit auf seinen weiteren Lebensweg nimmt, nachdem man vor Augen geführt bekam, dass das Fliegen für Sully dann doch sehr viel mehr als nur irgendeine berufliche Tätigkeit ist, sondern seine Passion – „Der Job, für den er geboren wurde“, wie man so schön sagt – und er sich gewissermaßen, ohne es zu wissen, sein Leben lang auf diesen einen kurzen Moment vorbereitet hat, und so 155 Menschen an Board und unzähligen am Boden das Leben retten konnte, ist mit das Beste, was einem ein Film geben kann.
Nur gemeinsam sind wir stark
Aber der Film hat auch noch eine zweite Botschaft, die uns die Ereignisse des 15. Januars 2009 lehren und die Sully selbst gegen Ende des Films in aller Bescheidenheit zu Protokoll gibt: So herausragend eine individuelle Leistung auch sein mag, ohne die Unterstützung anderer ist sie letzten Endes allermeist nicht von Erfolg gekrönt.
Ohne seinen Co-Piloten, die Stewardessen, die Passagiere selbst und die Fährenfahrer und Rettungstaucher, die dem auf dem eiskalten Hudson notgewasserten Flugzeug in Windeseile zu Hilfe kamen, wäre es auch Sully nicht möglich gewesen, am Ende jeden Menschen an Board ohne größere Verletzungen zu retten.
Und so wie der Film diesem Umstand angemessen Tribut zollt, sind an dieser Stelle auch von mir neben Eastwood und Hanks noch andere Mitglieder des Casts und der Crew zu erwähnen, die zum so grandiosen Gelingen von ´Sully´ beigetragen haben (auch wenn man es mir verzeihen mag, dass ich stellvertretend nur diejenige herauspicke, die mich am meisten überzeugt haben).
Allen voran möchte ich hier Aaron Eckhart als Co-Pilot Jeff Skiles erwähnen, der einen hervorragenden Side-Kick abgibt und für die genau richtig temperierten lustigen Momente des Films zuständig ist. Außerdem hat mir die Performance von Laura Linney als Sullys Ehefrau Lorraine gut gefallen, die sich in ihrer Rolle sehr dezent gibt und genau damit alles richtig macht.
Fazit
Wie erhofft ist ´Sully´ ein herausragend gut komponierter Film mit einer grandiosen Geschichte, basierend auf einer unfassbaren, aber wahren Begebenheit, inszeniert von einem begnadeten Regisseur und ausgestattet mit einem tollen Cast.
Ich kann euch den Kinobesuch uneingeschränkt empfehlen, also macht euch doch selbst ein Bild davon, ob Sully in der Extremsituation, in der er sich schlagartig befand, zweifelsfrei korrekt gehandelt hat oder ob der Husarenritt der Notwasserung – auch wenn alles gut endete – ein fahrlässiges Riskieren etlicher Menschenleben darstellte.
Der Film jedenfalls zeichnet – wie schon gesagt – die „Ankläger“ gegenüber dem Piloten nicht undifferenziert Schwarz-Weiß, auch wenn die NTSB-Beamten an einer bestimmten Stelle doch ganz dezent von Eastwood noch eins ausgewischt bekommen. Aber schaut euch das selbst an und bleibt am besten auch beim Abspann noch sitzen – es lohnt sich, den realen Helden und seine Frau beim Wiedersehen mit den Passagieren zu erleben.